Das wissenschaftliche Programm des Deutschen Zahnärztetages 2009 in der Rückschau
Zusammenfassung des umfangreichen Kongress-Angebots von München (05.-07. November 09)
Symposien
Schon am Donnerstag fanden drei Vorkongresskurse statt: PD Dr. Manhart (Universität München) widmete sich in seinem Workshop der „Frontzahnästhetik“; Dr. Kaaden (Universität München) bot einen „Crashkurs Endodontie“ an und Prof. Edelhoff (Universität München) gab einen Überblick über „Keramik und CAD/CAM“. Zudem stellte bereits am Mittwoch der Arbeitskreis Keramik ein umfassendes Programm zum Thema „Vollkeramik auf einen Blick“ vor.
Freitag Vormittag:
Zum wissenschaftlichen Hauptprogramm begrüßte am Freitagvormittag der Vizepräsident der BLZK Christian Berger das Auditorium in Verbindung mit einer Würdigung der Verdienste des Ehrentagungspräsidenten Prof. em. Dr. mult. Dieter Schlegel.
Im Hinblick auf das Tagungsthema Perio-Prothetik wies der Präsident der DGP, Prof. Dr. Ulrich Schlagenhauf, darauf hin, dass auch schwer parodontal geschädigte Zähne mit relativ geringem Aufwand in prothetische Planungen einbezogen werden könnten, dass aber in der Realität noch zu viele Extraktionen in Deutschland durchgeführt und parodontologische Behandlungsmöglichkeiten zu wenig berücksichtigt würden, u.a. auch deshalb, weil kein Honorar für die Erhaltungstherapie bei der GKV vorgesehen ist.
Prof. Dr. Michael Walter, Präsident der DGZPW, betonte die große Bedeutung einer interdisziplinären synoptischen Gesamtplanung zur optimalen Versorgung der zunehmend älteren Patienten.
Im ersten Hauptvortrag formulierte Prof. Hannes Wachtel, München, die entscheidenden Fragestellungen vor einer Behandlung, nämlich wie sind die Ziele des Patienten, die Ziele des Behandlers und die Prognose der behandelten Zähne in Einklang zu bringen? Als Behandler sollte man anstreben, parodontale Gesundheit zu erreichen, zahnlose Abschnitte mit Hilfe von Implantaten, Brücken oder Prothesen zu rekonstruieren und auch mit den Mitteln der adhäsiven Zahnheilkunde eine ästhetische Wiederherstellung zu erzielen.
Prof. Dr. Reiner Biffar und Prof. Dr. Thomas Kocher aus Greifswald referierten über den Streit der Disziplinen – Schleifen oder Scalen? Zunächst wurde festgestellt, dass der Zahnverlust bei heutigen Senioren rückläufig ist, dass aber gleichzeitig mehr behandlungsbedürftige Parodontitis vorhanden ist. Verschiedene Studien wurden erwähnt, in denen die Prognose von Zähnen abhängig vom Knochenverlust oder auch abhängig von unterschiedlichen prothetischen Konstruktionen auf Zähnen und Implantaten beleuchtet wurden. Letztendlich wurde die Frage Schleifen oder Scalen dahingehend beantwortet, dass mehr Kooperation zwischen Parodontologie und Prothetik wünschenswert wäre und damit sowohl Schleifen als auch Scalen angestrebt werden soll.
Prof. Dr. Peter Rammelsberg, Heidelberg, und Prof. Dr. Peter Eickholz, Frankfurt, stellten die Prognose auf den Prüfstand unter dem Aspekt Scalen oder Extrahieren bzw. Zahnverlust = Zahnersatz? Prof. Eickholz skizzierte die Bestandteile einer erfolgreichen Parodontaltherapie zum langfristigen Erhalt der Zähne in einem gesunden, funktionellen, ästhetisch akzeptablen und schmerzfreien Zustand. Für die Einschätzung der Prognose eines Zahnes braucht es wissenschaftlich fundierte Grundlagen. In einer eigenen Studie über einen Zeitraum von 10 Jahren wurden verschiedene Parameter wie unregelmäßige unterstützende Parodontitistherapie, Rauchen, positiver IL-1ß-Polymorphismus u.a. Faktoren im Hinblick auf ein erhöhtes Risiko für Zahnverlust untersucht. Im Zweifelsfall plädiert Prof. Eickholz für den Zahnerhalt.
Prof. Rammelsberg behandelte die Fragestellung aus prothetischer Sicht. Er betonte die Vorteile einer Parodontitistherapie vor prothetischer Versorgung, nämlich die Verfügbarkeit von mehr Pfeilerzähnen, entzündungsfreie stabile Gingivaverhältnisse und eine bessere Einschätzung der Patienten-Compliance. Wie verschiedene Studien aus Schweden zur Prognose konventioneller Brücken zeigen, hat Parodontitis für deren Prognose keine Relevanz, selbst Brücken auf parodontal vorgeschädigten Zähnen haben nur eine geringe Mißerfolgsrate, allerdings nur bei engmaschigem Recall.
Prof. Wachtel rundete die Vortragsreihe mit Antworten aus der Praxis ab, indem er sein Behandlungskonzept vorstellte am Beispiel von drei Patienten mit unterschiedlichen perioprothetischen Therapien.
Freitag Nachmittag
Was leistet die Kieferorthopädie zum Zahnerhalt?
Frau Prof. Dr. Wichelhaus (Universität München) zeigt in ihrem Vortrag die Möglichkeiten kieferorthopädischer Behandlung bei Patienten mit Parodontalerkrankungen auf. Parodontal vorgeschädigte Zähne sind weniger im Knochen verankert, wodurch bei Krafteinwirkung ein größeres Drehmoment entsteht. Deshalb ist bei reduziertem Parodont mit kleineren Kräften im Rahmen der kieferorthopädischen Bewegung zu arbeiten. Frau Prof. Wichelhaus ging dabei insbesondere auf die Therapiemethoden der Intrusion und Molarenaufrichtung ein.
Abschließend hielt Frau Prof. Wichelhaus fest, dass eine kieferorthopädische Behandlung auch bei Parodontitispatienten indiziert sein kann, jedoch darauf zu achten sei, dass nur gezielt eingesetzte und geringe Kräfte im Rahmen der Teilbogentechnik mit superelastischen NiTi-Bögen angewendet werden. Wenn die Kraftanwendung gezielt und richtig eingesetzt werde, nämlich unter Anwendung von sagittal gerichteten Kräften, könne sogar Knochen zusammen mit der Bewegung des Zahnes mit bewegt werden.
Weiger (Basel): Was leistet die Endodontie zum Zahnerhalt?
Prof. Weiger (Basel) referierte zu einem Thema welches unter der Überschrift Perio-Prothetik eigentlich nicht zu subsumieren ist, dafür aber für die Frage der möglichen Erhaltung eines Zahnes von umso größerer Bedeutung und somit eine sehr sinnvolle Ergänzung zu den zentralen Inhalten des Kongresses darstellte. Er beantwortete die Frage: Was leistet die Endodontie zum Zahnerhalt?
Er strich hierbei heraus, dass eine lege artis durchgeführte Wurzelkanalfüllung unabdingbare Vorraussetzung für parodontologische Eingriffe, wie eine Hemisektion oder Wurzelamputation, ist. Bezüglich des Erfolges einer solchen Wurzelkanalbehandlungen (WKB) führte er aus, dass dieser u.a. davon abhängt, ob der Eingriff bereits eine Revision darstellt, der Behandler vertraut ist mit dieser Therapieform oder auch ob moderne Hilfsmittel wie die Ultraschall-aktivierte Spülung oder eine Lupenbrille bzw. ein OP-Mikroskop verwendet werden.
Des weiteren ging Prof. Weiger nach einer kurzen Übersicht über das Vorgehen bei Paro-Endo-(WKB und Kürettage) sowie Endo-Paro-Läsionen (keine Kürettage bei der gesundes bzw. regenerationsfähiges Parodont zerstört würde, sondern vorerst nur WKB) noch auf die wichtige Unterscheidung zwischen Erfolgs- und Überlebensrate ein, die bei Zähnen die einer Wurzelkanalbehandlung unterzogen wurden, ebenso wichtig ist, wie bei Implantaten.
Zum Schluss konnte der Referent noch die wohl v.a. für Parodontologen interessante und ermutigende Aussage tätigen, dass parodontal vorgeschädigte Zähne im Allgemeinen bei einer WKB keine schlechtere Prognose haben als parodontal gesunde.
Samstag Vormittag
Die Hauptvorträge am Samstag eröffnete Dr. Gerd Körner, Bielefeld, mit seinem Beitrag: Perio-Prothetik – implantologische Fragen aus der Praxis. Wann soll man einen Zahn erhalten, wann implantieren? Was können konventionelle Parodontitistherapie und regenerative parodontalchirurgische Verfahren und wie nachhaltig sind diese Therapieverfahren im Vergleich zur Extraktion mit anschließender Implantation? Sollte man in einem parodontal kompromittierten Umfeld Implantate setzen? Diese Fragen stellen eine Herausforderung dar, eine Strategie, ein Gesamtkonzept zu entwickeln, bei dem u.a. der Knochenverlust nach Extraktion und die parodontalen Strukturen im Umfeld Beachtung finden sollten.
Wie lange hält das? Ist das Implantat die bessere Wurzel?
Prof. Dr. Dipl.–Ing. E.J. Richter (Universität Würzburg) führte aus, dass insbesondere im Restzahngebiss die klinischen Erfahrungen eine Überbelastung der Pfeilerzähne zeigen. Durch das Tragen von herausnehmbarem Zahnersatz komme es zu Lockerungen der tragenden Pfeiler. Der Referent sieht insbesondere die Erfolgsrate von avitalen Zähnen und/oder Wurzelstift versorgten Zähnen als Brückenpfeiler oder sogar Pfeilerzähne einer herausnehmbaren Versorgung als kritisch an. Er nannte die Insertion von sog. strategischen Implantaten als die bessere Lösung.
Im Anschluss befasste sich PD Dr. G. Salvi aus parodontologischer Sicht mit dem Thema. Er stellte dabei die unterschiedlichen Versorgungsmöglichkeiten mit Pfeilerzähnen und/oder Implantaten gegenüber und bewertete die aus evidenzbasierten Untersuchungen erstellten Erfolgsraten der einzelnen Versorgungen. Als Versorgungsmöglichkeiten stellte er im Zahn getragenen Konzept die Brücke, die Extensionsbrücke, die Bogen umspannende Brücke und die Klebebrücke gegenüber. Anhand einer Untersuchung von Fugazotto, P.A. (J Periodontol 2001) zeigte der Referent auf, dass die Erfolgsraten von Implantaten in Molarenposition und von Wurzel amputierten Zähnen gleichzusetzen sind. Daraus schlussfolgerte der Referent, dass keine Evidenz bestehe, dass Implantate im parodontal kompromittierten Gebiss besser zu bewerten seien als Zähne.
Richter (Würzburg): Wie lange hält das ? Ist das Implantat die bessere Wurzel?
Aus biomechanischer Sicht betrachtete Prof. Richter (Würzburg) die Fragen: Wie lange hält das ? Ist das Implantat die bessere Wurzel? Er plädierte in seinen Antworten auf diese Fragen v.a. für den Einsatz von Implantaten mit größerem, regionsbezogenem Durchmesser als bisher zum Einsatz gebracht, um die Frakturgefahr der Implantate zu verringern. Des weiteren sollten diese Implantate „strategisch“ gesetzt werden. Prof. Richter stellte ebenfalls die These auf, dass eine Teleskopversorgung eine zu rigide Verbindung zwischen prothetischer Versorgung zu osseointegriertem Implantat darstellt und somit bei dieser Versorgung die Frakturgefahr erhöht ist. Deshalb seien an dieser Stelle weniger starre Verbindungen zwischen Implantat und prothetischer Versorgung vorzuziehen.
Zuhr (München): Braucht Ästhetik immer maximalen Aufwand?
Dr. Zuhr (München) legte im Anschluss Wert darauf, die Frage Braucht Ästhetik immer maximalen Aufwand? aus zwei Perspektiven zu betrachten: Die des Behandlers und die des Patienten. Ersterer sollte nach seinen Äußerungen die Wundheilungskapazität des Patienten welche von systemischen Faktoren wie Alter, Tabakkonsum, Allgemeingesundheit und Hormonhaushalt sowie lokalen Faktoren wie Blutversorgung, Defektanatomie, etc. abhängig ist, beachten. Nimmt man die Patientenperspektive ein, geht es nach Dr. Zuhr v.a. um die Fragen wie lange die Behandlung dauern, aus wie vielen Sitzungen sie bestehen und wie schmerzhaft sie sein wird. An dieser Stelle sei es wichtig im Patienten nicht zu große Hoffnungen aufkeimen zu lassen, die dann später mittels der Behandlung nicht realisiert werden können.
Edelhoff (München): Braucht Ästhetik immer maximalen Aufwand?
Dr. Edelhoff (München) lenkte mit seiner Antwort auf die Frage: Braucht Ästhetik immer maximalen Aufwand? die allgemeine Aufmerksamkeit auf ein immer häufiger auftretendes Problem: erosiv-abrasive Zahnhartsubstanzdefekte. Beachtlich ist, dass bei einmal eingetretenen Schmelzdefekten die Dentinabrasion bis zu zehnfach schneller abläuft. Ist eine Therapie somit unbedingt indiziert, gehen doch bisherige Behandlungsmaßnahmen in Form von Kronenpräparationen mit der Opferung von bis zu 70% der Zahnhartsubstanz einher. Neuere Versorgungsmöglichkeiten wie die Veneerpräparation kommen im Vergleich nur auf 30% Substanzverlust, bedeuten also für den Patienten einen wesentlich geringeren „Aufwand“ und geringere Komplikationsraten z.B. in Form von Desensibilisierung nach Schleiftraumata. Völlig atraumatisch bzw. non-invasiv lassen sich entsprechende Defekte mit neuartigen Polymeronlays die adhäsiv befestigt werden, versorgen. Dr. Edelhoff zog also den Schluss, dass moderne ästhetische Versorgungen von Behandlerseite mit maximalem Aufwand was Diagnostik, Planung und die Zusammenarbeit mit dem Zahntechniker betrifft, verbunden sein sollten. Für die Patienten ermöglichen sie aber glücklicherweise ein wesentlich schonenderes Vorgehen.
Körner (München): Antworten aus der Praxis mit anschließender Diskussion
Als letzter Redner dieses Vormittages stellte Dr. Körner (München) seinen eingangs gestellten Fragen die entsprechenden Antworten aus der Praxis entgegen. Er schlug bei der Fragestellung der Erhaltungswürdigkeit von parodontal kompromittierten Zähnen die Einteilung dieser in drei Gruppen vor, um in der alltäglichen Praxis leichter zu einer sinnvollen Entscheidung zu kommen. Des weiteren unterstrich er die Nachhaltigkeit der regenerativen Therapie und die Wichtigkeit einer socket preservation um eine Resorption der bukkalen Knochenlammelle zu verhindern.
POL-Fallpräsentationen
Zum Abschluss des Kongresses bot sich noch die Möglichkeit, sich mit eigenen Behandlungsvorschlägen an der Diskussion, die sich an jeden der vorgestellten vier Fälle anschloss, zu beteiligen.
Kurzvorträge und Posterausstellung
Zahlreiche Kurzvorträge und Posterdemonstrationen zu den Fachgebieten Parodontologie und Prothetik ergänzten das Hauptprogramm. Die wissenschaftlichen Präsentationen fanden große Resonanz bei den Besuchern: die betreffenden Säle waren ausnahmslos gut besucht. Es wurden viele innovative Projekte vorgestellt und im Rahmen der abschließenden Diskussionsrunde fand rege Beteiligung statt. Im Foyer des 1. Obergeschosses wurden die Poster präsentiert.
Symposion
Periimplantitis und Parodontitis- zwei Krankheiten, eine Ursache?
Parallel zum Hauptprogramm vertieften fünf weitere Symposien das Tagungsthema: Die Firma Procter & Gamble befasste im Rahmen ihres Symposiums sich mit der Ätiologie, Prävention und Therapie periimplantärer Erkrankungen. Prof. Dr. A. Mombelli (Universität Genf) und Prof. Dr. R. Mengel (Universität Marburg) stellten in einem Dialog die Ätiologie, die Definition und Epidemiologie periimplantärer Erkrankungen und die Therapieoptionen vor. Prof. Mombelli gab zunächst eine Übersicht über die Elemente der Biofilmbildung, als gemeinsame Ursache von Parodontitis und Periimplantitis. Er stellte fest, dass sich bei beiden Erkrankungen das gleiche Keimspektrum findet und beide mit den gleichen Risikofaktoren einhergehen. Jedoch schlussfolgerte er, dass die Periimplantitis durch klinische Zeichen definiert sei und sie auch bei Patienten mit parodontal gesunden Verhältnissen vorkommt. Im zweiten Teil erläuterte Pro. Mengel die Definitionen für Mukositis und Periimplantitis und gab eine Übersicht über die Ätiologie von Implantatverlusten.
Weitere Programmpunkte
Der Zahnärztetag bot zudem ein interessantes und gut besuchtes Programm mit Vorträgen für das Praxisteam, sowie eine separate Veranstaltung für Studierende der Zahnmedizin in Form eines Studententages, der in den Räumlichkeiten der Ludwig-Maximilians-Universität München stattfand.
OÄ Dr. Rita Arndt
ZA Lasse Röllke
ZÄ Susanne ScharfPoliklinik für Parodontologie,
Zentrum der Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde (Carolinum),
Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt am Main,
Theodor-Stern-Kai 7, 60590 Frankfurt am Main