"Wir brauchen mehr Forschung in der Zahnmedizin"

03.11.2015

Auf dem Festakt zur Eröffnung des Deutschen Zahnärztetages 2015 in Hamburg sprach Festredner Prof. Einhäupl über "Forschungsfortschritt und Solidarprinzip"

Hamburg. Getrennte Veranstaltungsorte aber dennoch gemeinsame Sache: Auf diese Kurzform lässt sich die räumliche Trennung des Deutschen Zahnärztetages 2015 bringen. In diesem Jahr fanden der standespolitischen Teil und die festliche Eröffnung in Hamburg statt, in der Folgewoche der Wissenschaftliche Kongress in Frankfurt. Der Festakt zur Eröffnung im gut gefüllten Festsaal des Hotels Atlantic Kempinski in Hamburg zeigte, dass Bundeszahnärztekammer, Kassenzahnärztliche Bundesvereinigung und Deutsche Gesellschaft für Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde weiter eng zusammen arbeiten werden. Das wurde in den Statements von Prof. Dr. Bärbel Kahl-Nieke (Präsidentin DGZMK), Dr. Wolfgang Eßer (Vorsitzender des Vorstands der KZBV) und Dr. Peter Engel (Präsident BZÄK) und in der Veröffentlichung des gemeinsamen Leitbilds Zahnmedizin zum DZÄT deutlich. Im Rahmen des Festaktes wurden auch die Ehrungen von BZÄK und DGZMK sowie die Verleihung des Millerpreises durch die DGZMK vorgenommen (s. gesonderte Pressemitteilung). Festredner Prof. Dr. Karl Max Einhäupl, Vorstandsvorsitzender der Charité-Universitätsmedizin Berlin, sprach zum Thema "Forschungsfortschritt und Solidarprinzip".

Einhäupl, der sich vor neun Jahren mit einer kritischen Bemerkung zur zahnmedizinischen Forschung in Deutschland nicht unbedingt Freunde unter den Zahnmedizinern gemacht hatte, bemerkte eingangs, er habe dazu gelernt. "Deutschland hat das beste Gesundheitssystem der Welt, es steht alles zur Verfügung und wird von allen bezahlt", stellte er zu Beginn seines Vortrags fest. Doch dieses System gerate in Gefahr. Spätestens 2030 werde die Finanzierbarkeit im Mittelpunkt stehen.

Drei Wünsche dominierten derzeit: dass Innovationen schneller ans Krankenbett gebracht werden, sie trotzdem bezahlbar bleiben und diese Gesundheitsgüter gerecht verteilt werden. "Die Lebenszeit und -qualität verlängern sich und dazu kommt der Wunsch nach vollkommener Gesundheit", so Einhäupl. Das Problem der modernen Medizin seien dabei nicht steigende Preise, vielmehr sei es die Steigerung der Möglichkeiten, die die Kosten anwachsen ließen. Außerdem sei der Bedarf nach Gesundheitsgütern nach oben fast unbegrenzt. Und spätestens, wenn dann die Gemeinschaft die Kosten für den Einzelnen nicht mehr tragen könne, werde das Solidaritätsprinzip enden. Zu den Kostentreibern zählte er die demographische Entwicklung ebenso wie die Evidenzbasierung der Medizin, die immer größere Anforderungen mit sich brächte. Gleichzeitig werden Innovationszyklen immer kürzer, die sog. Volkskrankheiten nähmen zu und seltene Krankheiten trieben ebenfalls die Kosten, etwa durch Zelltherapien. Auch Prävention werde das medizinische System verteuern und nicht verbilligen. Hinzu käme noch die personalisierte Medizin als weiterer Kostentreiber.

Der Festredner machte in diesem Zusammenhang auf eine Krise der öffentlichen Dienstleistungen in vielen Bereichen der Gesellschaft aufmerksam. Der allgemeine Investitionsbedarf sei durch die öffentliche Hand nicht mehr zu finanzieren, was Einhäupl für die Medizin mit Beispielen aus dem Krankenhausbereich unterlegte. Neben einer deutlichen Steigerung der Fallzahlen gebe es zudem auch "schlechtes Wachstum", wenn etwa 60 bis 70 Prozent der Bandscheiben-OP in Deutschland medizinisch nicht indiziert seien.

"Wir brauchen mehr Forschung in der Zahnmedizin", forderte Einhäupl erneut und stellte die Frage, warum es in der ZM nicht mehr Verbundforschung mit der Material-Wissenschaft gebe. "Das bietet sich nirgendwo mehr an", stellt er fest. Dennoch konstatierte er eine positive Entwicklung, weil der Stand von 400 wissenschaftlichen Arbeiten in der ZM im Jahr 2005 auf immerhin 700 im Jahr 2014 angestiegen sei. Ob das an den politischen Rahmenbedingungen liegt oder das Fach selbst in der Kritik steht, ließ er bei folgender Feststellung allerdings offen: "Die Zahl der zahnmedizinischen Fakultäten ist so gering, dass Kooperationen schwer fallen. Die kritische Masse fehlt und es fehlt der wissenschaftliche Drive." Zu den aktuellen Grundproblemen der medizinischen Forschung insgesamt zählten die Tatsache, dass bislang auch kleine Innovationen honoriert würden, dass bei der Industrie - speziell im Bereich Pharma - die Pipelines bei vielen leer seien, und dass die Eliten, zunehmend feminisiert, die Schaffung besonderer Bedingungen für Frauen benötigen, sonst werde der Ärztemangel weiter wachsen. Diesen "Mangel" hatte er zuvor bereits nicht als Fehlen von Medizinern sondern an falscher Verteilung festgemacht. "Es muss uns gelingen, mehr junge Menschen für die Medizin zu begeistern", um die Eliten in genügender Zahl zu reproduzieren.

Die aktuelle Flüchtlingsproblematik spielte neben der Freiberuflichkeit bei den Eröffnungsstatements eine große Rolle. Der KZBV-Vorsitzende Dr. Eßer stellte dazu fest, dass die deutsche Zahnärzteschaft selbstverständlich bereit sei, den Flüchtlingen zu helfen. "Dafür muss der Gesetzgeber klare und allgemein gültige Rechtsgrundlagen schaffen. ... Derzeit sind die Regelungen für die Betreuung von Flüchtlingen in Ländern und Kommunen sehr unterschiedlich ausgestaltet, obwohl der Versorgungsanspruch an sich ja grundsätzlich geregelt ist. Für alle Beteiligten und Betroffenen ist die derzeitige Versorgungslage leider ebenso unübersichtlich wie verwirrend." Auch Ämter, Behörden und Krankenkassen wüssten häufig nicht, wie die Versorgung nach dem Asylbewerberleistungsgesetz konkret umgesetzt werden sollte.

Im Zusammenhang mit der Behandlung von Flüchtlingen kritisierte auch BZÄK-Präsident Dr. Engel "undurchsichtige, von Bundesland zu Bundesland unterschiedliche Regelungen". "Erste Verbesserungen hat der Gesetzgeber durch eine Änderung des Asylbewerberleistungsgesetzes herbeigeführt. Doch Unsicherheiten hinsichtlich der Finanzierung von Leistungen wurden nicht beseitigt", stellte Engel fest. Als Hilfestellung zur Überwindung der Sprachbarrieren habe die BZÄK ein Piktogrammheft für die Zahnarztpraxis entwickelt. Zuvor hatte Dr. Engel vor den Gefahren gewarnt, die von europäischer Ebene für die Freien Berufe und ihre Selbstverwaltungen ausgingen. Die umfassenden Deregulierungen bei den Freien Berufen könnten im weiteren Fortgang den Kern der zahnärztlichen Tätigkeit angreifen, warnte er. Deshalb sei es wichtig, dass die Zahnärzteschaft an der hohen Qualität der Arbeit festhalte, sie liefere die besten Argumente für das bestehende System.

DGZMK-Präsidentin Prof. Dr. Bärbel Kahl-Nieke stellte im Zusammenhang mit Qualität die Bedeutung der wissenschaftlichen Leitlinien als Unterstützung für das Umsetzen von Qualität heraus und betonte auch die Bedeutung des umfassenden Fortbildungsangebots der DGZMK-Tochter Akademie Praxis und Wissenschaft. In Sachen Flüchtlingsproblematik kündigte sie einen Workshop an, der unter Beteiligung verschiedener Fachleute aus Soziologie, Psychologie und weiteren Fachgebieten eine Bestandsaufnahme liefern solle, in der auch die Frage der Erreichbarkeit der Zielgruppe Migranten geklärt werden solle. In einem weiteren Schritt solle dann in Zusammenarbeit mit der Deutschen Gesellschaft für Präventive Zahnmedizin der Frage nachgegangen werden, welche präventivzahnmedizinischen Maßnahmen machbar seien und wie sie finanziert werden könnten.

Während des Festakts wurden seitens der BZÄK Prof. Dr. Wolfgang Sprekels mit dem Fritz-Linnert-Ehrenzeichen sowie Admiralarzt a.D. Dr. Wolfgang Barth sowie Dr. K. Ulrich Rubehn mit der Goldenen Ehrennadel geehrt. Die Ehrenmedaille der DGZMK erhielt Admiralarzt a.D. Dr. Wolfgang Barth, der Past-Präsident Prof. Dr. Thomas Hoffmann die Goldene Ehrennadel. Für die musikalische Umrahmung sorgten Christian Nobmann (Viola), der auch stv. Leiter der Abt. Koordination G-BA der KZBV ist, und Cornelia Weiß (Piano).
 

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